Überbevölkerung wird von Medien, Politik und Wirtschaft seit vielen Jahrzehnten als eines der größten Probleme des Planeten abgehandelt. Ihr neuer Film „Population Boom” hinterlässt nun überraschend viel positive Stimmung und Optimismus. War er von Anfang an als Plädoyer für mehr Menschlichkeit und Gerechtigkeit geplant?
Ich ging ursprünglich selber davon aus, dass die Welt überbevölkert ist – wie das wahrscheinlich die meisten von uns tun. Ich habe das vorher nie hinterfragt und so hatte ich für den Film eigentlich beabsichtigt, Überbevölkerung als die große Herausforderung für die Menschheit darzustellen. Aber dann kamen die Recherchen … und ich stellte fest, dass Überbevölkerung ein Begriff ist, der politisch sehr willkürlich verwendet wird. – Und dass die wirklich essentielle Herausforderung darin besteht, dass wir endlich dieses festgefahrene Weltbild der Überbevölkerung hinterfragen müssen. Denn erst dann sehen wir die großen, globalen Probleme – für die man gerne den Bevölkerungswachstum verantwortlich macht – aus einer ganz anderen Perspektive...
Danach stand für mich fest, dass der Film die viel verbreitete Lust an der apokalyptischen Vision eines übervölkerten Planeten nicht bedienen würde, und so wurde das Thema auch … umfangreich.
„Population Boom” benennt jene globalen Probleme, von denen ich meine, dass wir sie gemeinsam schleunigst anpacken sollten und auch in den Griff bekommen können. Das geht nur zusammen. Auch wenn mich da manche einen Optimisten nennen mögen!
„Population Boom” räumt mit dem Märchen von der Überbevölkerung auf und ist ein Aufruf aktiv zu werden. „Boom!” bedeutet ja auch Aufschwung...
Das Bild einer bedrohlichen Überbevölkerung existiert schon sehr lange: seit Ende des 18. Jahrhunderts, es geht auf die Theorie von Thomas Robert Malthus zurück, die besagt, dass die Nahrungsmittelproduktion nicht mit dem Bevölkerungswachstum mithalten könne. Wieso konnte sich dieses Bild so in den Köpfen festsetzen?
Wegen der Angst, teilen zu müssen! – Dieses Bild hat sich aber vor allem deswegen so verbreitet, weil gezielt dafür Stimmung gemacht wurde – und teilweise auch heute noch gemacht wird. Diese Kampagne hat so gut funktioniert, weil der Gedanke, dass es zu viele Menschen gibt, als Ausrede für vieles anwendbar ist. Überbevölkerung ist ein billiger Vorwand dafür, dass man selber nichts tun muss. Denn es sind die zu vielen anderen, die Unheil anrichten … Das Märchen von der Überbevölkerung ist auch eine Ausrede dafür, den Kopf in den Sand zu stecken – angesichts der angeblich bereits eingetretenen Katastrophe. Anstatt sich zu engagieren...
Wann wird das Märchen besonders gern erzählt? In welchem Zusammenhang wird vor allem von Überbevölkerung gesprochen?
Beispielsweise werden Hunger, Armut, Umweltverschmutzung, Ressourcenknappheit und Menschenrechtsverletzungen oft als Folgen des Bevölkerungswachstums genannt. Fälschlicherweise! Noch immer denken manche, dass 1 Milliarde Menschen deswegen hungern, weil es nicht genug Nahrung gebe! Doch weltweit werden genug Lebensmittel produziert, um die gesamte Menschheit ernähren zu können! Nebenbei: 1,5 Milliarden Menschen weltweit sind übergewichtig … – Die Gründe für Hunger sind schlichtweg Armut und Ungerechtigkeit. Jährlich sterben an Hunger weltweit so viele Menschen, wie Österreich Einwohner hat! Aber viele Menschen sehen nach wie vor arrogant weg … Zu oft reden sich Konzerne, die sich der Ressourcenausbeutung und Umweltverschmutzung schuldig machen, darauf aus, dass es zu viele Menschen gebe, die unbedingt konsumieren „müssen”. Oder es heißt: „Mehr Menschen bedeuten Ressourcenknappheit”. Aber der ökologische Fußabdruck nahm jahrzehntelang in den Ländern am meisten zu, in denen die Bevölkerung am wenigsten wuchs! Das Problem ist also nicht die Zahl der Bevölkerung, sondern die Art wie wir leben und die Art der Entwicklung!
Was bedeutet das für die Zukunft der reichen, westlichen Welt?
Auch wenn die Weltbevölkerung in der Mitte des Jahrhunderts ihren Zenit mit cirka 9,6 Milliarden erreicht, wird es realistisch möglich sein, alle Menschen zu ernähren und für einen gewissen Wohlstand für alle zu sorgen. Aber das geht nur, wenn wir uns alle zu der globalen Gemeinschaft, der wir immerhin angehören, bekennen und es gemeinsam wollen. Das heißt: Die UNO muss endlich aufhören, Spielball der materiell reichen Nationen zu sein. Nur dann wird sie zwischen Staaten oder Völkern mit unterschiedlichen Vorstellungen positiv vermitteln können. Die EU-Staaten sollten sich auf die zunehmend ältere Bevölkerung vorbereiten. Und es muss unterbunden werden, dass große Konzerne, reiche Staaten und wohlhabende Privatpersonen den Menschen das Land rauben! Besonders krass ist das in Afrika, wo sich zum Beispiel die Deutsche Bank, der Staat Schweden und viele andere im großen Stil einkaufen. Die Politik muss nachhaltige Lebens- und Wirtschaftsformen forcieren und sollte gegen jene Finanzsysteme vorgehen, die kurzfristige Profitmaximierung auf Kosten von Menschen und Umwelt dulden.
Und: Jeder von uns soll sich gegen Umweltverschmutzung, Ressourcenausbeutung, Klimawandel, ungerechte Verteilung und Landraub stark machen!
Ich würde mir wünschen, dass "Population Boom" auch als Denkanstoß verstanden wird: dafür, was "reich” wirklich bedeutet. Denn oft wird übersehen, dass „reich” keineswegs nur die Anhäufung von Geld und Besitz ist. In dieser Hinsicht denke ich, dass wir alle Hände voll zu tun haben, die westliche Welt zumindest ein wenig reicher zu machen.
Sie sind durch die Arbeit am Film auch reich: reich an Impressionen. Können Sie einen „bleibenden Moment” während des Drehs festmachen?
Das ist zweifellos die Fahrt auf dem Dach des Zuges in Bangladesch! – Meine Angst, vom Zug zu fallen, verwandelte sich im Handumdrehen in eine Art Glücksgefühl, als mir die Menschen zeigten, wie sehr sie zusammenhalten können – und es in dieser Ausnahmesituation auch taten! Im Film symbolisiert diese Szene für mich auch die positive Kraft, die in uns Menschen steckt. Dessen sind wir uns nur viel zu selten bewusst. Der Komponist Karwan Marouf hat für diese Szene übrigens den berührenden Song „Reach Out" geschrieben.
Foto aus dem Film (Flugaufnahme, Mexico City)
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7. Produktionsinfos | 14. Franz Fischler über den Film | 21. Schulvorstellungen |